Stadtbaurat Nolda: Versorgungsamt an Frankfurter Straße wird für Wohnungen abgerissen.

Die Nachfrage nach Wohnungen ist groß, das Angebot zu klein und trotzdem stehen viele Häuser leer. Grund, um mit Stadtbaurat Christof Nolda (Grüne) über den Kasseler Wohnungsmarkt zu sprechen.

 Die Leerstandsquote wurde von Ihnen zuletzt bei um die ein Prozent beziffert. Das wären in Kassel etwa 320 Häuser. Ist dies ein realistischer Wert?

Christof Nolda: Nur für den Bestand der Wohnungsbaugesellschaften wird der Leerstand systematisch erfasst. Knapp 80 Prozent des Kasseler Wohneigentums sind aber im Eigentum von Privatpersonen und Investoren. Zu deren Leerstand gibt es keine verlässlichen Zahlen. Jedes leer stehende Haus ist ein Ärgernis, auf die ganze Stadt betrachtet ist das Problem überschaubar.

Beobachten Sie, dass sich Spekulanten tummeln, die Leerstände gezielt einsetzen, um die Preise zu treiben?

Nolda: Das macht kaum Sinn. Durch die steigenden Miet- und Kaufpreise sollten Eigentümer daran interessiert sein, ihre Objekte zu vermieten oder zu verkaufen. Die Erträge, die in Kassel aus einer Vermietung erwirtschaftet werden können, übersteigen die möglichen Spekulationsgewinne in der Regel deutlich.

Dennoch gibt es auch in gefragten Wohnlagen Leerstand.

Nolda: Das sind häufig Fälle, bei denen sich Erben uneinig sind oder bei denen Investoren den Überblick über ihren Bestand verloren haben. Da hat die Stadt wenig Spielräume. Das Eigentumsrecht ist geschützt. Nur bei gravierenden Verstößen gegen die Verkehrssicherungspflicht bei Gebäuden sind wir berechtigt, aktiv einzugreifen.

Aktuell entstehen pro Jahr zwischen 200 und 300 Wohnungen. Ist das genug?

Nolda: Das ist noch zu wenig. Wir arbeiten an einer deutlichen Steigerung der Produktion auf 600 bis 800 Wohnungen. Wir haben so viele Wohnbauprojekte in der Pipeline wie lange nicht. Aktuell sind es 8000 Wohnungen, die in Aussicht sind. Dazu zählen Projekte in Süsterfeld, im Lossegrund, im Feldlager, am Felsenkeller, in Nordshausen, auf dem Areal der Jägerkaserne I im Kontext der Baulandoffensive des Landes Hessen, bei Salzmann und so weiter. Zudem steht der Verkauf des Versorgungsamtes an der Frankfurter Straße durch das Land kurz bevor. Dort sind Wohnungen im dreistelligen Bereich geplant.

Wohneigentum können sich in Kassel viele Familien nicht mehr leisten. Einfamilienhäuser kosten zwischen 300.000 und 500.000 Euro und familiengeeignete Wohnungen gibt es selten unter 250.000 Euro.

Nolda: Ein Mittel, um dem Trend gegenzusteuern, ist der Neubau von Wohnungen. Diesen forcieren wir. Zudem sind wir dabei, Wohnprojekte mit günstigen Mietpreisen zu entwickeln. Dazu zählen etwa die Wohnungen, die auf dem Areal der Jägerkaserne I und im Lossegrund entstehen. Dort können wir steuernd in die Preise eingreifen.

Die Zahl der Sozialwohnungen ist auf 6000 gesunken. Wurde der Neubau von Sozialwohnungen versäumt?

Nolda: Es ist richtig, dass nach und nach mit öffentlichen Mitteln errichtete Wohnungen aus der Preisbindungen herausfallen. Umso erfreulicher ist, dass bei vielen Projekten wie Salzmann, Martini-Brauerei und Lossegrund neue Sozialwohnungen entstehen sollen. Rückenwind verspreche ich mir auch von den neuen Richtlinien des Landes Hessen zur sozialen Mietraumförderung. Diese beinhalten deutlich verbesserte Förderkonditionen für potenzielle Investoren und Wohnungsunternehmen.

Die dichtere Bebauung sorgt bei Anwohnern für Ärger. Können Sie diesen nachvollziehen?

Nolda: Verdichtung klingt so bedrohlich. Ich spreche lieber von Innenentwicklung. Diese ist auch als Ziel im Baugesetzbuch festgeschrieben. Denn es macht aus mehreren Gründen Sinn, die Lücken in einer Stadt zu füllen, anstatt auf der grünen Wiese zu bauen: Es wird weniger Energie verbraucht, es wird weniger Boden versiegelt, es gibt weniger Verkehr und die Infrastruktur der Stadt wird besser ausgelastet. Eine hohe Dichte muss sich zudem nicht negativ auf die Wohnqualität auswirken. Der Vordere Westen ist der am dichtesten bewohnte Stadtteil und trotzdem eine begehrte Lage.

Woher rührt dann der Widerstand der Anwohner?

Nolda: Das passiert oft dann, wenn die Bewohner einen Kontrast zur bestehenden Bebauung wahrnehmen. Dabei lassen die Bebauungspläne, die teilweise vor 40 Jahren entstanden sind, deutlich größere Häuser zu. Wenn laut Bebauungsplan zwei Vollgeschosse zulässig sind, heißt das nicht, dass das Gebäude nur zwei Stockwerke aus dem Boden ragen darf. Nach Hessischer Bauordnung ist zusätzlich ein Staffelgeschoss erlaubt, das maximal 75 Prozent der Grundfläche der darunter liegenden Vollgeschosse entsprechen darf. Hinzu kommt ein Kellergeschoss, das ebenfalls teilweise aus dem Boden ragen darf. So erscheint ein zweigeschossiges Haus, je nach Blickwinkel, wie ein drei- oder viergeschossiges Gebäude. Jeder Architekt ist um die optimale Grundstücksausnutzung bemüht.

Aber könnten Sie die Bebauungspläne nicht ändern?

Nolda: Bebauungspläne können nicht rückwirkend geändert werden, sondern nur in einem neuen Verfahren durch die Stadtverordneten. Wenn wir in rechtsverbindliche Bebauungspläne eingreifen und die bauliche Ausnutzung des Grundstücks reduzieren, hat dies gegebenenfalls Einfluss auf den Grundstückswert. Jeder betroffene Eigentümer könnte einen Vertrauensschaden oder Entschädigungsansprüche bei Änderung eines Bebauungsplans geltend machen, weil die Bebaubarkeit eingeschränkt wurde. Für 60 Prozent des Kasseler Wohnbaulandes wurde überdies ohnehin kein Bebauungsplan aufgestellt. Dort gilt Paragraf 34 des Baugesetzbuches. Das heißt, ein Neubau muss sich an der umgebenden Bauweise sowie deren Nutzung beziehungsweise der zu überbauenden Grundstücksfläche orientieren. Wegen dieser relativen Formulierung kommt es oft zu juristischen Auseinandersetzungen, weil strittig ist, welche anderen Gebäude als Referenz dienen.

Wie groß ist der Einfluss der Stadt auf die Bauherrn?

Nolda: Die Spielräume sind beschränkt. Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Einschränkungen gelten ohnehin fast nur für die Größe des Gebäudes. Eine Pflicht für ästhetische Ausgestaltung gibt es nicht. Mit unserer Charta für Baukultur versuchen wir aber, das Bewusstsein bei Architekten und Bauherrn dafür zu schärfen, dass sie auch eine Verantwortung für die Stadt als Ganzes tragen.

Quelle: HNA vom 24.07.2018, JBG Research